Die geheimen Botschaften der Märchen: warum der Wald darin so wichtig ist

Hast Du schon mal darüber nachgedacht, warum uns gut die Hälfte der von den Brüdern Grimm gesammelten Märchen in den Wald führen?

Rotkäppchen, Rapunzel, Schneewittchen, Rumpelstilzchen, Brüderchen und Schwesterchen, Aschenputtel, Hänsel und Gretel, Der Eisenhans, die Bremer Stadtmusikanten, Der Eisenofen, Schneeweißchen und Rosenrot, Jorinde und Joringel, Der Teufel mit den drei goldenen Haaren, Der Wolf und die sieben Geisslein sind wahrscheinlich die bekanntesten. Doch auch Das Mädchen ohne Hände, der goldene Vogel; das singende springende Löweneckerchen, Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein, Die Alte im Wald, Der goldene Vogel, Der Königssohn der sich vor nichts fürchtet, Die wahre Braut, Die zwei Brüder, Der Meisterdieb, Die drei Schwestern, Der Räuberbräutigam, Der Räuber und seine Söhne, Das Waldhaus, Die drei grünen Zweige, Die zwölf Brüder, Die Gänsehirtin am Brunnen und viele mehr.

 

 

All diese Märchen erzählen von etwas, das anscheinend nur im Wald geschehen kann. Was da genau geschieht, ist von Geheimnissen umgeben. Da wartet etwas Unbekanntes,  Bedrohliches; unsere Ängste, Phantasievorstellungen, Wünschen und Hoffnungen sind darin verborgen. Es scheint, dass ein Jeder, der im Mangel ist, weiß, dass er dort – und nur dort – Hilfe findet: im Reich der Großen Mutter Natur!

Und noch etwas fällt auf:

Wer in den Wald geht, macht diesen Schritt nie ohne Notwendigkeit.

Ein Mensch, der in den Wald geht, befindet sich in einer Notlage und allein der Leidensdruck treibt ihn an. Er will sich lösen von allem, was ihn in irgendeiner Form in seinem Leben einschränkt. Der Weg zum neuen Ich und der neuen Welt, führt zwangsläufig durch den Wald. Er muss dabei bereit sein, im Aussen und Innen Grenzen zu überwinden:

  • einerseits muss er sich vom Gewohnten lösen, vom Alltag und von den Menschen, die ihn umgeben.
  • Und  er muss sich mit seinen Ängsten konfrontieren. 

Viele sind im Wald verloren gegangen, haben aus dem Gestrüpp und Dickicht des Waldes, der auch ihren inneren Zustand  beschreibt. nicht mehr herausgefunden. Wer in den Wald hineingeht, begibt sich also auch in seine inneren Wälder, die sein Unbewussten, seine Natur beschreiben.

 

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Der Wald stellt den Raum der menschlichen Psyche dar.

Im übertragenen Sinne dient er als Symbol unterbewusster Prozesse in der menschlichen Psyche. Im Märchen ist es meistens der Wald, in dem zwischen Erfolg oder Niederlage entschieden wird. Im Wald müssen sich die Helden unserer Märchen oft Gefahren und Herausforderungen stellen. Schafft der/die Reisende es, den Wald zu durchqueren und damit seine Aufgabe zu erledigen, so hat ein innerer Wandlungsprozess stattgefunden. Der/die Reisende hat zur inneren Ganzheit gefunden. 

Der Wald im Märchen ist ein Ort der Initiation. Vladimir Propp weist in seinem Werk Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens nach, dass Initiationsriten auf der ganzem Welt in Wäldern stattfanden. Der Aufenthalt im Wald, der mit Prüfungen, dem Erleben von körperlichem Schmerz, Einsamkeit und Angst verbunden war, stellte das Sterben eines Teils der Persönlichkeit dar. In dieser Zeit im Wald starb das Kind im Initianden und er/sie wurde erwachsen wieder geboren. Sie erhielten andere Namen, um den neuen Persönlichkeitsanteil auszudrücken.

Wir wenden uns der Natur zu, wenn wir nach uns selbst suchen.

Und auch, wenn es so scheint, dass die Menschen sich zuerst im Wald verlaufen, verlieren sie sich nicht im Wald, sondern überwinden ihre Ängste und werden dafür belohnt. Sie wachsen über sich hinaus. Der Wald gewinnt damit an symbolischer und sinnstiftender Bedeutung. Ohne den Wald wären Märchen nicht das, was sie sind. Denn sie zeigen, dass im Leben auch unter schwierigsten Bedingungen alles gut werden kann.

 

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Der Weg in den Wald führt zur Waldfrau

Der „Märchenspiegel“, die Zeitschrift für internationale Märchenforschung und Märchenkunde, macht uns im April 1995 mit einer mystischen Waldbewohnerin bekannt, die wir bereits kennen und bei der Initiation zur Seite steht: 

Wer sich in der Einsamkeit und Stille des Waldes aufhalten muss, sich seiner unbezwingbaren Macht aussetzt, erlebt die Angst, verlorenzugehen, stecken zu bleiben, in die Irre zu gehen, nicht mehr herauszufinden. Auf diese Ohnmacht gibt das Märchen eine Antwort im Bild der vielen Helfergestalten, die den Wald bewohnen. Unter ihnen nimmt eine weibliche Gestalt, die Waldfrau, einen zentralen Platz ein. Im Süßen Brei ist sie eine alte Frau, die dem suchenden Mädchen, das mit seiner Mutter in Not geraten ist, ein Töpfchen schenkt, welches dem Hunger ein Ende bereitet. Die mütterliche Kraft hatte ihre nährende Funktion eingebüßt. Das Mädchen als die junge, zukunftsgerichtete Potenz wendet sich der übergeordneten Naturmutter zu und begegnet ihr im Wald. Ungerufen greifen diese Mächte nicht ins menschliche Leben ein; ihr Wirkungsbereich ist der Wald.

Die alte Frau wird zum Dreh- und Angelpunkt des Märchens. Ihr Auftauchen aus dem Dunkel des Waldes wendet das Schicksal des Mädchens. Das Geschenk des magischen Töpfchens verweist sie in den Bereich der Großen Mutter, die menschliches Leben gibt, erhält und stetig wandelt.

Jacob Grimm erwähnt die Waldfrauen in der Deutschen Mythologie. Ihr Aufenthaltsort ist der alte heilige Wald. Sie verfügen u.a. über die Fähigkeit der Heilkunst, gehören zum Kreis der Göttin Holda. die auch als Hulda oder Holle bekannt ist.“

Und schon schließt sich der Ausflug in den Wald mit der Gestalt der Frau Holle, die ich Dir bereits in meiner kostenlosen dreiteiligen Audioserie vorgestellt habe. 

Übrigens gibt Dir Frau Holle auch Antworten, wenn Du sie nur kurz bei einem Ausflug in den Wald oder Spaziergang im Park besuchst: bei einer Medizinwanderung.

von Herz zu Herz, Mia

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