Die geheimen Botschaften der Märchen: warum gibt es so viele miese Stiefmütter darin?

Die geheimen Botschaften der Märchen erzählen uns viel über das Frau-Sein. Ist Dir zum Beispiel schon mal aufgefallen, dass es in Märchen unglaublich viele miese Stiefmütter gibt? Oder, dass in vielen Märchen die Mütter gar nicht vorhanden sind? Hier gleich mal ein paar Beispiele:

 

  • Dornröschen – Mutter kommt nicht vor
  • Aschenputtel – Stiefmutter
  • Froschkönig – Mutter kommt nicht vor
  • Schneewittchen – Stiefmutter
  • Rumpelstilzchen – Mutter kommt nicht vor

 

Was dabei auffällt: Die Frauengestalten kommen dabei gar nicht gut weg. Entweder sind sie depressiv (wie Schneewittchens Mutter), nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht (wie in Rapunzel), schwach und machtlos (wie in Dornröschen). Und auch die Stiefmütter sind in den Märchen meist neidisch, gerissen, lügen und betrügen. Sie versuchen sich oft, Status und Materielles zu erschleichen und machen ihren Stieftöchtern das Leben schwer. Die Rivalität zwischen Frauen wird in den Märchen unverhohlen dargestellt. 

 

Zwei Frauen stehen sich Kopf an Kopf gegenüber als Rivalinnen

Woher kommt die Rivalität unter Frauen?

 

Woher kommt die Rivalität zwischen Frauen?

Dazu müssen wir einen kleinen Ausflug in die Geschichte machen – bis zurück ins Neolithikum. Zu dieser Zeit verehrte man die große Göttin, das Urmütterliche und die Fruchtbarkeit als Prinzip des Lebens. Das Weltbild war damals noch zyklisch, also kreisrund. Aufgespannt zwischen Werden und Vergehen, im ewigen Kreislauf von Leben und Tod.

Damals lebten wir als Nomaden, zogen umher, waren Jäger und Sammler und seit neuesten Forschungen weiß man, dass die Aufteilung der Arbeit nicht geschlechterspezifisch war. Der, der etwas gut konnte, der hat es gemacht. 

Die deutsche Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth (1980) setzt die Existenz von Matriarchaten in Vergangenheit und Gegenwart voraus als „von Frauen geschaffene und in allen Bereichen geprägte Gesellschaften mit „komplementärer Gleichheit“, in denen die „Mutter als Prototyp“ gelte, denn vom mütterlichen Verhalten seien die tragenden Werte der Gesellschaft abgeleitet“.

Das Leben plätscherte auf diese Weise gute zehntausend Jahre so dahin bis 8-10 tausend Jahre vor Christus eine Revolution stattfand.

Die Menschen wurden seßhaft. Sie bestellten den Boden, erfanden Ackergeräte und sie zähmten Tiere. Durch den Ackerbau wurden sich die Menschen noch bewusster über den Kreislauf der Natur; durch die Kenntnis der Jahreszeiten gestalten sie plötzlich mit – sie dienen dem Leben und folgen den Naturgegebenheiten. Es war eine friedliche Epoche, es gab noch keinen Grundbesitz und kein ICH und MEIN

Ein klimatischer Wandel im Raum der heutigen Mongolei zwang die Stämme dort, auszuwandern. Die Mongolen hatten in der Zeit bereits Pferde und Bronze–Waffen und waren dadurch den bereits niedergelassenen Sippen haushoch überlegen. Sie erobertenn das Land. Die Männer bekamen durch ihre Eroberungen mehr Bedeutung und die Gewichtung Mann-Frau in den Angreifer-Sippen veränderte sich. Es entwickelten sich Kriegerkasten, die die besiegten Sippen versklavten und so entstanden zwei Gesellschaftsschichten.

Und die Eroberer waren ziemlich clever. Denn was mache ich am besten, um die versklavte Sippe zu schwächen und zu binden?

Ich suche mir die kraftvollste „indigene“ Frau heraus und zwing sie in meine Sippe.

Die wilden Frauen wurden also „domestiziert“, ihre Kraft gebunden, der Mund verboten, ihr wildes Wesen gezähmt. Die Frau wurde dem Manne Untertan. Und als Zeichen dieser „Ehre“ nannte man sie „hohe Frow“.

Du kamst „unter die Haube“. Als hohe Frow musstest Du nicht mehr draußen in der Natur schuften, aber dadurch ging Dir auch die Verbindung zur eigenen Natur verloren: den Instinkt, den ein „Wib“, so wie man die naturverbundenen, indigenen Frauen nannte, noch hatte.

Drinnen, in den abgesperrten Burgen hattest Du keinen Zugang mehr zu dem magischen Wissen, zu den Riten bei Vollmond, zu Bann- und Bindezauber. Ihr könnt euch vorstellen, was darin seine Wurzeln findet:

Der Konkurrenzkampf zwischen den Frauen beginnt.

Das war die Zeit, wo Frauen begannen, sich über andere Frauen zu stellen. Und diese Abwertung des eigenen Geschlechts überdauerte Jahrhunderte bis in die heutige Zeit. Ist in unserem Ahnengedächtnis, in unseren Zellen abgespeichert.

Noch heute zucken viele Frauen zusammen, wenn sie den Ausdruck „Weib“ hören.

Der Ausdruck „Weib“ hat immer noch etwas Unberechenbares an sich. Männer fürchten sich vor der Macht des „Weibes“, haben Angst, „verhext“ zu werden, unter ihren Bann zu kommen. Verächtlich sprechen sie daher von „Weibern“ und geben dieses Bild an ihre jungen Söhne ab, die wiederum ihren brüchigen Selbstwert dadurch aufrüschen, in dem sie Mädchen mit einem despektierlich gezischten „Weiber“ abwerten.

Und doch ist die Sehnsucht nach dem Echten, dem Ursprünglichen, der Verbundenheit mit unserer Natur, mit unserem Weib-Sein unendlich groß. Mögen wir durch die lineare Kultur einer Leistungsgesellschaft noch so verkrüppelt worden sein, mögen wir uns selber noch so verbogen haben, um anerkannt und geliebt zu werden.

Geben uns möglicherweise die Märchen und deren „schräge“ Frauen-Bilder einen tieferen Einblick und Erklärungen zu der Spaltung unter den Frauen?

 

Gibt es eine versteckte Botschaft übers Frau-Sein in den Märchen?

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Kommt diese Botschaft vielleicht aus einer sehr viel älteren Zeit zu uns? Lasst uns ein weiteres Mal einen Blick in die Geschichte werfen: 1806 begannen die Gebrüder Grimm, Märchen und Sagen zu sammeln. Sie entstanden also nicht aus ihrer eigenen Feder, sondern wurden nach alten, vorwiegend mündlich überlieferten Geschichten von ihnen gesammelt und zusammengetragen. Allerdings überarbeiteten die Brüder die Märchen stark. Die Aussagen wurden „geglättet“, geformt, umgeschrieben und damit der Moral der damaligen Zeit angepasst, die alles andere als gleichberechtigt war:

um 1800 war die Trennung zwischen dem „minderwertigerem „Wib“ und der „hohen Frow“ immer noch sehr präsent. Das Leben war in Stände eingeteilt. Da gab es die adlige Frau, die Bürgersfrau, die Dienstmädchen und die Landfrau.

Eine „hohe Frow“ sollte fügsam sein, um für einen Mann ebenfalls höheren Standes eine gute Partie zu sein. Ein Auszug aus einem Konversationslexikon zum Stichwort Bildung bestätigt dies: „Es kommt nicht darauf an, daß die Bildung der Gattin eine ausgedehnte sei, sondern vielmehr darauf, wie sehr sie ihre Ausbildung der ihres Gatten anzupassen verstehe, damit sich jede Schärfe seines Geistes glätte am Polierstein ihres Gemütes.“ Bereits 1715 war ein „Frauenzimmerlexikon“ erschienen, in dem man allerlei Dinge nachschlagen konnte, um „nutzbar, galant und curiös“ zu sein. 

 

die HOHE FROW – sittsam, gefügig und „unter der Haube“

 

Ganz anders bei den „Wib“ auf dem Lande: die Frauen mussten zwar auf dem Hof harte Arbeit leisten, sich um die Kinder kümmern und die Launen des Gatten ertragen. Ein „Wib“ war jedoch ein wenig freier gegenüber gesellschaftlichen Verpflichtungen als die Bürgerin oder Adelsfrau. Und da sie der Natur viel näher war, in und mit ihr lebte, war sie in die zyklische Weisheit eingeweiht und somit eine initiierte Frau.

 

das wilde, freie „Wib“ mit offenen, ungebändigten Haaren

 

Der Zugang zu dieser Weisheit wurde jedoch nach und nach verschüttet, denn der Wunsch der Frauen, eine „hohe Frow“ zu werden, sich einen „Prinzen“ zu angeln, war ein gesellschaftlich anerkanntes Vorhaben. Und wer sollte es einer Frau verdenken, Sicherheit und Stand anzustreben. 

 

Der Schlüssel, den uns die Märchen geben

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Märchen geben uns ganz deutliche Hinweise über den Bewusstseins-Entwicklungsgrad von weiblichen Wesen. 

Das sich seiner selbst vollkommen unbewusste Mädchen, das versunken in ihrer eigenen Welt lebt – immer noch tief verbunden mit der „nichtalltäglichen Welt“ der „Fabelwesen“: der Zwerge, der Quellnymphen, der sprechenden Frösche, Tauben und Mäusen – den Tieren, die ihr den Weg weisen. 

Eine Mutter ist im Märchen eine initiierte Frau. Sie kennt die Zyklen des Lebens, ist eine Hüterin der Weisheit, stark, kraftvoll, eigen-sinnig und ist fähig, junge Mädchen ins Weib-Sein zu begleiten. Sie liebt den Austausch unter Frauen und fühlt sich wohl unter ihresgleichen. Sie erlebt sich als Tochter von Mutter Erde und erkennt jedes weibliche Wesen als ihre Schwester an. Sie erfährt sich in ihrer Essenz, in inneren und äußeren Jahreszeiten und käme nie auf die Idee, dagegen anzukämpfen. Sie lebt ein seelenzentriertes Leben und ist im Einklang mit dem, was IST.

Eine Stiefmutter wurde nicht mehr in die Gezeiten des Lebens initiiert. Da sie fernab der Natur lebt und deren Zyklen nicht mehr hautnah miterlebt, hat sie sich in ein männlich dominiertes Leben einbinden lassen, in dem es täglich um Kampf, Konkurrenz und Siegen geht. Kräfte werden gemessen, Intrigen geschmiedet, Denunziert, Strategien entwickelt – alles, damit man seine eigene Herrschaft ausdehnt und seine Position behauptet. Sie erfährt sich in linearen Strukturen. Sie lebt ein egozentriertes Leben und definiert sich durch das, was sie TUT.

Die weise Alte ist ein weiteres Frauenmotiv in den Märchen. Sie ist eine initiierte ältere Frau, die – im wahrsten Sinne des Wortes –  jenseits der Regel steht. Sie hat die Zyklen des Lebens durchdrungen und steht nun an der Initiations-Schwelle, um all` die Frauen zu begleiten, die den uralten, kreisrunden Weg gehen wollen. 

Und warum gibt es nun so viele miese Stiefmütter in den Märchen? 

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Als Märchen entstanden, waren sie nicht dazu gedacht, Kindern vorgelesen zu werden, sondern um Menschen Lösungen an die Hand zu geben, um Entwicklungskrisen zu meistern. Und da die Seele in Bildern denkt, wurden die Lösungswege in kraftvolle Bilder gepackt.

Spannenderweise werden in Märchen wesentlich mehr Lösungen für weibliche Entwicklung angeboten. Dabei geht es immer wieder darum, den Frauen den Weg hin zur initiierten Frau aufzuzeigen: der Integration von männlichen und weiblichen Anteilen ihrer selbst, die in den Märchen mit der Hochzeit ihren Abschluss findet.

von Herzen, Deine Mia

 

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2 Kommentare

  1. Hilkea

    Ein schöner und sehr aufschlussreicher Artikel. Danke für all die geschichtlichen Bezüge. Und natürlich auch zu den Gebrüdern Grimm. Das kann man gar nicht oft genug aufdröseln finde ich.
    Und ich freu mich immer, wenn jemand Heide Göttner-Abendroth kennt und erwähnt. Ich habe früher vieles von ihr gelesen.
    Auch ich finde es spannend und interessant zu versuchen, den Ursprung von Märchen tiefer zu erforschen und was es für das heutige und damalige Frauenbild bedeutet. Denn in den Urformen, die aus meiner Sicht Archetypen sein können, können wir viel lernen. Über weibliche Kraft heute und damals, wenn wir sie von den Spinnweben der patriarchalen Sichtweise befreien. Eine tolle Arbeit, die du damit machst.
    Danke für den Artikel.

    Antworten
    • mia

      Ich danke Dir von Herzen, liebe Hilkea, für Deine Rückmeldung! Ja, ich glaube, die Märchen geben uns ganz viele Hinweise über die Bewusstseinsentwicklung – besonders die der Frauen. Auf dass wir uns auch im Frau-Sein, oder besser gesagt, Weib-Sein erlauben, ein „sowohl-als-auch“ zu leben!

      Antworten

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